Die Erwartungen des größten Anbieters TUI haben in der Touristikbranche Gewicht.
Fritz Joussen bemüht sich, nicht nach Zweckoptimismus, sondern nach echter Zuversicht zu klingen. «Die Leute warten auf ihren Koffern und schauen, wo zuerst geöffnet wird.» Die Sehnsucht nach Urlaub im Corona-«Übergangsjahr» 2021 sei groß – und auch dem Tui-Chef kann es dabei offenbar kaum rasch genug gehen.
Vergleichsweise häufig packen Kunden seines Konzerns ihre Koffer aber derzeit vor allem in Großbritannien. Ausgerechnet dort, wo in der ersten Pandemiewelle noch einiges im Krisenmanagement schieflief, gewännen Verbraucher durch fortschreitende Impfungen nun Sicherheit.
Der wichtige britische Markt startet auch zu normalen Zeiten etwas früher in die Sommer-Buchungssaison als das Reise-Weltmeisterland Deutschland. Diesmal ist es für Tui jedoch besonders entscheidend, dass die Nachfrage daheim ebenso anzieht. «Deutschland holt nun auf», sagt Joussen zur Zahlenvorlage am Dienstag. Bisher indes gelte: «Mehr als die Hälfte unserer Buchungen kommt gerade aus dem Vereinigten Königreich.» Keine schlechte Tendenz. Doch weil viele Reisewillige erst spät und kurzfristig buchen, bleibt die Planung schwierig. Der Tui-Chef warb außerdem erneut für mehr Corona-Schnelltests.
Die gesamte Branche – 2020 von Sars-CoV-2 teils an den Rand des Ruins getrieben – hofft, dass die Durststrecke bald überstanden sein möge. Hoffnungen, es könne schon im Frühling so weit sein, schwanden zuletzt. Tui musste bis Ende März gerade Reisen zu beliebten Zielen etwa in Portugal, der Türkei und Festland-Spanien sowie in ganz Ägypten, Tunesien, Marokko und zu den Kapverdischen Inseln absagen.
Und danach? «Eine große Reisewelle an Ostern werden wir vermutlich nicht sehen», meinte der Chef des Deutschen Reiseverbandes, Norbert Fiebig, kürzlich. Sollte sicheres Reisen möglich sein, wird nach Einschätzung von Reinhard Meyer vom Deutschen Tourismusverband erst der Deutschland-Tourismus profitieren: «Viele hoffen auf einen Start zu Pfingsten im Mai, um im Sommer richtig durchstarten zu können.»
Umfragen zufolge ist die Reiselust groß. Aber kann im Sommer wirklich die Erholung gelingen? Tui setzt auf eine rasche Verbreitung der Impfstoffe, sobald die nötigen Mengen verfügbar sind. «Wir sind sehr positiv gestimmt, dass Sommerurlaub möglich wird», so Joussen. Es werde wohl nicht überall Impfpflichten geben, sondern – je nach Land – auch Testvorschriften als Ersatz, wie schon für Kreuzfahrtgäste. In Großbritannien sollten Ende Mai alle über 50-Jährigen geimpft sein.
Unter den klassischen Zielen zeigten sich in den bisherigen Buchungen vor allem Griechenland und Spanien als beliebte Regionen. Insgesamt verkaufte die Tui-Gruppe bereits 2,8 Millionen Reisen, etwas mehr als die Hälfte des Volumens für den Vorkrisen-Sommer vor zwei Jahren. Und der Löwenanteil stammt mit 1,5 Millionen aus Großbritannien, wo Tui das Programm drei Monate früher freigeschaltet hatte. Deutschland ist mit gut einer halben Million Buchungen noch etwas abgeschlagen.
Sicher ist: Die erzwungene Konsumzurückhaltung hat 2020 die Sparquote steigen lassen. Viele Verbraucher dürften also bereit sein, mehr Geld auszugeben – wenn sie denn können. «Für den Tourismus, aber auch für Gastronomie und Kulturbetriebe ist dieser Trend ein gutes Signal», sagt Joussen. Die knapperen Kapazitäten gegenüber normal ausgelasteten Jahren brächten jedoch höhere Preise mit sich. Bei Tui investierten die Kunden diesmal nach aktuellem Stand rund ein Fünftel mehr in ihre Sommerbuchung als 2019.
Die Anbieter müssen die Zähne zusammenbeißen. Betriebswirtschaftlich waren die vergangenen Monate eine Katastrophe. So fielen bei Tui im Geschäftsjahr 2020/2021 bis Ende September 3,1 Milliarden Euro an Verlust an, im «ruhigen Quartal» (Joussen) bis Ende Dezember kam es zu mehr als einer Versechsfachung des jahreszeitlich typischen Fehlbetrags auf 803 Millionen Euro. Lange kann das nicht gut gehen, auch wenn sich der Konzern dank Staatshilfen und Kapitalerhöhung ein Finanzpolster verschafft hat. Die Liquidität von 2,1 Milliarden Euro soll nun halten «bis zum Sommer, wenn das Geschäft wieder losgeht».
Derweil muss das Management aufpassen, es sich im laufenden Sparkurs nicht mit den Beschäftigten zu verscherzen. Ein Jobabbau war schon vor Corona absehbar gewesen, er verschärft sich nun. Oft trifft es Saisonkräfte, deren Verträge auslaufen. Bei der Airline Tuifly, bei den Reisebüros oder in der Verwaltung sind die Kürzungen jedoch ebenfalls beträchtlich. Es hagelte Kritik aus der Arbeitnehmerschaft. Die Gewerkschaft Verdi schäumte: «Corona wird hier als Vorwand benutzt, um die Tuifly als Airline im Konzern kleinzumachen.»
Die «Neuausrichtung» geht – getrieben auch durch mehr Digitalisierung – dennoch weiter. Mittlerweile sind laut dem Vorstand 5000 der weltweit 8000 geplanten Stellenstreichungen auf Vollzeitbasis vollzogen, in den Reisebüros und Verwaltungen soll über die Hälfte der Einsparungen erreicht sein. «Wir kommen sehr gut voran», sagt Joussen zu den Kostenzielen. Der Chef des deutschen Veranstaltergeschäfts, Marek Andryszak, erklärte in einem Podcast zur Notwendigkeit besserer digitaler Angebote: «Wenn wir uns da nicht dem Online-Kanal widmen, dem Kunden den Wunsch nicht erfüllen, werden wir alle kollabieren.»
Dabei ist eine Ausweitung der Tui-Präsenz im Netz an der Betriebsratsspitze prinzipiell gar nicht so umstritten. Der Chef der Belegschaftsvertretung, Frank Jakobi, glaubt an einen gemischten analog-digitalen Vertrieb: «Alle Kanäle werden miteinander kommunizieren und immer stärker verschmelzen.» Persönliche Kontakte sicherten aber das Vertrauen, und einen pauschalen Filialabbau werde es mit ihm nicht geben. «Da reicht eine Dotcom-Seite nicht.»
Quelle:dpa
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